Anton Kargl, 1. Duo

Anders als die Solostücke mit Klavier, die professionelle Spieler verlangten,
richten sich die Duette dieser Zeit auch an dilettierende Laien und Musikliebhaber, die den Csakan in seiner ursprünglichen Form als Spazierstockblockflöte spielten.

Über Anton Kargls Leben ist überraschend wenig bekannt. Sicher ist, dass er 1808 erster Geiger am Josephstädter Theater in Wien wurde und dass seine drei Duos ohne Opuszahl, deren erstes wir hier eingespielt haben, unter dem Titel Trois Duos pour deux Czakans par F. A. Kargl / Nouvelle édition / Vienne, chez Pietro Mechetti erstmalig 1831 publiziert wurden.

Anscheinend erhielten sie einen regen Zuspruch, da sie 1846 neu aufgelegt wurden.

Der erste Satz mit der Bezeichnung Allegro moderato zeichnet sich durch ein fröhlich-anmutiges Thema aus, das von der anderen Stimme mit Albertifiguren begleitet wird, was dem Satz einen beschwingten Charakter verleiht. Dieses Thema taucht abwechselnd in beiden Stimmen auf, die dadurch beide gleichwertig und melodieführend werden.

Das folgende Scherzo ist eigentlich ein auskomponierter Witz. Eine Reihe von schmissigen kurzen Tanzsequenzen ganz unterschiedlichen Charakters welchselt sich mit dem zweimal wiederkehrenden Thema ab. Gegen Ende des Satzes erfolgt dieser Wechsel immer schneller und unvermittelter, was den geistreich-witzigen Charakter noch verstärkt.

Der dritte Satz stellt eine Kette von Variationen dar. Auf das lyrisch-gesangliche Andante-Thema folgt zunächst eine überraschend schnelle erste Variation, die scheinbar nichts mit dem Thema zu tun hat, obwohl tatsächlich jeder Ton des Themas gespielt wird. Bei der zweiten Variation bleibt das Thema nahezu unverändert und wird von der zweiten Stimme mit Triolenläufen bereichert, die damit für die nötige Abwechslung sorgt. Erst in der letzten Variation erhält das Thema selbst eine die Melodie umspielende Variation.

Das abschließende Rondo ist ein amüsanter Finalsatz. Der Mittelteil erinnert an die Musik der damals gerade aufkommenden Polka. Die typischen Hopser des Tanzes werden mal in der Ober-, mal in der Unterstimme gespielt. Das Rondo-Thema mit seiner lustigen Melodie wird durch die bewegten Achtel der Begleitung immer weiter vorangetrieben, bis es unvermittelt auf einem Triller mit Fermate stehen bleibt. Dieser plötzliche Halt wird dreimal erreicht und fordert eine kandenzartige Verzierung geradezu heraus.

© 2012, Cordula Schertler/ Martin Jung

Ernst Krähmer, Orginalstücke op.25

Die ZWEYTE SAMMLUNG, LEICHTER UND ANGENEHMER ORGINALSTÜCKE FÜR ZWEY CSAKAN/ERNST KRÄHMER/25tes WERK richten sich wohl eher an Spieler der Spazierstockblockflöte in ihrer ursprüngliche Form. Mit ihrer folkloristisch anmutenden Melodik und ihrer überschaubaren Kürze scheinen sie dazu bestimmt zu sein, im Freien zu erklingen.
Obwohl jedes der zehn Duette, op. 25 für sich alleine steht, haben wir sechs davon ausgewählt und zu zwei Gruppen zusammengestellt.

Die eine Gruppe besteht aus den Duetten Nr. 7, 8, 10:
drei Miniaturen, die sich unserer Meinung nach musikalisch ergänzen.

Nr. 7 - Allegro moderato -, dessen akzentuierte Rhythmik sowie die an Gelächter erinnernden Staccato-Ketten vor unserem geistigen Auge das Bild eines altwienerischen Lokals entstehen lassen, aus dessen offenen Fenstern „Schunkelmusik" und überschäumendes Gelächter ins Freie quillt.

Das nächste Stück, Nr. 8 – Allegretto - mit seinen mechanisch wirkenden Staccato-Vierteln und den vielen sich ähnelnden Motivanfängen lässt an eine sich drehende Spieluhr denken.

Tempo di Polacca - Nr.10 mit den für eine Polonaise typischen, schmissigen Melodien und der verzögerten Betonung auf dem zweiten Achtel bildet den Abschluss dieser Gruppe.
Da die Polonaise im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts sehr populär war, könnte man sich diese Gruppe gut unter dem Titel Drei Wiener Miniaturen vorstellen.

Die zweite Gruppe würden wir unter dem Titel Ständchen zusammenfassen.
Duett Nr. 1 – Allegro moderato assai – mit seinem melodischen Auf und Ab klingt wie ein Aufmerksamkeit heischendes Spielen vor dem Fenster, bis die Angebetete - oh welche Freude! – ihr Fenster öffnet.
Nr. 2 - Adagio - mit sanften Melodien und behutsamen Läufen, oft im Piano, klingt nach einer anrührenden Liebeserklärung.
Die permanent hüpfenden Achtel des letzten Duettes - Rondo: Allegro – versinnbildlichen die überquellende Freude ob eines offensichtlichen Erfolges.

© 2012, Cordula Schertler/ Martin Jung

Ernst Krähmer, Variations brillantes op. 18

Die Variation als Verwandlungsprinzip bildet eine uralte Tradition nicht nur in der Musik: Als Metamorphosen aus der griechischen Mythologie bekannt, sind Variationen im Kern ein Grundprinzip jeglicher Kommunikation: Neues mitteilen, das Verstehen der Botschaft aber durch ausreichend Bekanntes ermöglichen. Evolution beschreibt genau diesen Vorgang.

Für musikalisches, überhaupt für künstlerisches Material bedeutet dies, die Vielfalt der Einfälle in einer nachvollziehbaren Einheit zu entfalten, salopp gesagt, alles unter einen Hut zu bringen, damit zusammenwächst, was zusammengehört.
Große gattungsgeschichtliche Beispiele der Variation hat es schon vor Bach gegeben, vor allem in der Orgelmusik in Form von Choralvorspielen, aber in der Cembalo- und Klaviermusik sind die berühmtesten Beispiele zu finden: Hier pflegt man Bachs Goldberg-Variationen in einer Traditionskette mit Beethovens Diabelli-, Brahms´ Händel-Variationen  und Schumanns Symphonischen Etüden als Gipfelwerke der Variationsliteratur vorzustellen.
Ein inflationäres Aufkommen von Variationsreihen prägte den Bravourstil des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Den Titel Variations brillantes tragen hunderte von Werken, die meist populäre Melodien aus beliebten Opern ihrer Zeit als Thema verwenden, das dann in zahlreichen Variationen verarbeitet wird.
Auch Krähmer hat in diesem Fall eine Opernmelodie gewählt - sie stammt aus Rossinis La donna del lagho - genauer gesagt, es handelt sich um die Cavatine Ah! Come nascondere - und in einer kleinen Serie zu sechs Variationen für Csakan und Klavier verarbeitet, die letzte steht ausdrücklich im Zeichen der Con Bravura-Virtuosität.
Das C-Dur-Thema ist streng periodisch in zwei Achttaktperioden mit Ganzschluss gegliedert, zwischen die eine Viertaktperiode in Moll eingeschoben wird, deren erste Hälfte sich halbschlüssig nach E-Dur und deren zweite Hälfte sich dominantisch rückmodulierend nach C-Dur wendet. Vorangestellt ist eine Introduktion im französischen Ouvertürenstil.
Der Umkreis der im Zyklus durchmessenen Tonarten ist auf C-Dur und dessen Variante c-Moll sowie kürzere Ausweichungen in die Paralleltonart a-Moll begrenzt. Damit wird die Tradition der üblichen Minore-Variation übernommen, und überhaupt scheint zunächst nichts Unkonventionelles in dieser Variationenfolge zu liegen. Die Klavierbegleitung ist - abgesehen von der sehr orchestral gedachten Einleitung - ohne substanzielle Verluste auch durch eine Gitarrenbegleitung ersetzbar. Was die Konvention angeht, so fällt ein beinahe durchgängig achttaktig-periodischer Phrasenbau auf, der interessanterweise nur an den formal exponierten Stellen (Introduktion, Coda, Mollvariation) für je eine einzige Ausnahme durchbrochen wird.
Umso bemerkenswerter dagegen der Flötenpart: Zwischen rasanten Läufen der 1., 3. und 6. Variation, schnellen Repetitionen (4. Variation, ausdrücklich mit Doppelzunge auszuführen) sowie der raffinierten Staccato-Variation (Nr. 2) und einer bemerkenswert frühromantischen Unendlichkeitsmeldodie in der Minore-Variation (Nr. 5) wird ein wahrer Kosmos der Flötentechnik durchlaufen. Bemerkenswerte Ansprüche stellt Krähmer an die Atemtechnik, vor allem in der gesamten 17-taktigen Coda, die idealerweise auf einen Atem gespielt werden soll - jedenfalls ist keine einzige sinnvolle Zäsur vorgesehen, was offenbar der beim Csakan gegebenen Möglichkeit zur Permanentatmung geschuldet ist, Blockflötisten jedoch schnell an die Grenzen des Menschenmöglichen bringt.

© 2012, Peer Findeisen

Ernst Krähmer (1795-1837)

 

 

Rondo hongrois op. 28

 

Wie der Name schon sagt, ungarische Musik, die auch gängige Klischees von ungarischer Musik als Csardas-Folklore bedient und wie zuvor ausgeführt nicht trennscharf abzugrenzen ist vom Konglomerat einer bis weit in die Nationalromantik reichenden ungarisch-türkisch-balkanischen Südosteuropa-Gesamtfolklore.

 

Krähmer bezieht sich anfangs auf den üblichen Ablauf von langsamem und schnellem Teil („Lassu“ - „Friss“). Schon die üppigen, stilgerechten Verzierungen und charakteristischen Quartsprünge deuten auf persönliche Erfahrung mit ungarischer Unterhaltungsmusik, was bei einem europaweit gefeierten Virtuosen des K&K-Hoforchesters auf der Hand liegt.

 

Für den Csakan bzw. wahlweise die Sopranblockflöte sind zahlreiche technische Herausforderungen vorgesehen, nicht zuletzt durch temperamentvolle Oktavvorschläge und rasante Zweiunddreißigstel-Läufe.

Die Begleitung ist fakultativ am Klavier oder an der Gitarre möglich und zeigt im Klavierpart typische Begleitfiguren der Csardas-Musik im alternierenden Wechsel von Bassoktaven in der linken und nachgeschlagenen Akkorden in der rechten Hand.

 

Der Aufbau des Rondos ist absolut originell, da Krähmer der eigentlichen Reihungsform ein ganz neues Gepräge verleiht und stets neuartige Ideen aus den vorigen Abschnitten hervorgehen lässt, also konsequent einen Entwicklungsgedanken verfolgt, der einer bloßen Aneinanderreihung bunt gemischter Einfälle durch eine dramaturgisch zwingende Einheit entgegenwirkt - ohne Beethovens Hybridform eines Sonatenrondos zu kopieren: Dem Ritornell mit seinen charakteristischen Pralltrillern und verzierungsreichen Kadenzfiguren geht eine langsame, rhapsodische Einleitung voraus, es folgen im bunten Wechsel von C-Dur, b-Moll und F-Dur drei weitere Tempo-Anläufe im Csardas-Stil, bevor der Schwung völlig ausgebremst wird, um den Anfangsteil reprisenähnlich zu wiederholen. Ein letztes Beschleunigen zu wirbelnden Triolen erstirbt in einem Zitat des Anfangs, sodass sich der Kreis von sprudelnd ineinanderfließenden Ideen lückenlos schließt.

 

Dass ein ritardando abgebremster und dahingehauchter Schluss nach dermaßen feurigen ungarischen Temperamentsausbrüchen im Widerspruch zur csardastypisch provozierten Entfesselung von Beifallsstürmen steht, dürfte Krähmer dazu bewogen haben, seine gewagte Konzeption, die Csardas-Mode gegen den Strich zu bürsten, mit angehängtem zweifachem Fortissimo-Tusch zu relativieren.

Wir haben hier wie auch an wenigen anderen Stellen - besonders in der langsam-rhapsodischen Einleitung - Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, den leider nur dezenten und nicht mit Schellen besetzten Janitscharenzug des originalen Conrad-Graf-Hammerflügels effektfoll einzusetzen: Ansatzweise wird der Hörer eine Ahnung davon bekommen, welchen Eindruck diese kriegerische Feldmusik auf ihre Gegner gemacht haben mag.

 

 

© 2012, Peer Findeisen

 

Ernst Krähmer (1795-1837):

Concert Polonaise op. 5

1822 bei Diabelli veröffentlicht, gehört diese Polonaise dem konzertanten Salonstil des frühen 19. Jahrhunderts an. Das Titelblatt der Originalausgabe trägt folgende Widmung:

CONCERT POLONAISE / für den / Csakan / mit Begleitung des / Pianoforte / componirt, und dem / HERRN AUGUST WALTER / gewidmet / von / Ernest Krähmer / 5tes Werk / WIEN / bey Cappi und Diabelli / Graben No. 1133.

Mit einer langsamen Adagio-Einleitung, die nach viertaktigem Vorspiel durch eine arioso und reich verzierte, weit ausgreifende und nur schwach akkordisch begleitete Flötenmelodie gestaltet wird, trifft Krähmer überraschend genau den Ton, den heutige Hörer sofort mit Mendelssohn in Verbindung bringen würden. In der Tat mag man hier in Vielem den Einleitungsteil des berühmt gewordenen Rondo capriccioso wiedererkennen, was vor allem am Belcanto-Stil der zeittypischen ausgedehnten melodie lunghe liegt, wie sie bei frühromantischen Arien der italienischen Opernkomponisten um Bellini und Donizetti massenhaft auftreten.

Nach einer ausgeprägten Koloratur erfolgt der Übergang zur eigentlichen Polonaise, deren Thema alle Qualitäten für ein dem Anmutigkeits-Ideal verpflichtetes Rondo-Ritornell in sich vereinigt: schwungvoll-heiter bewegtes Allegretto-Tempo, synkopenreiche Rhythmik, kapriziös-spielerischer Umgang mit kurzen Motiven und einprägsame, gesangliche Melodik.
In den Couplets lässt Krähmer das Soloinstrument in unterhaltsamer Scherzando-Manier lustige Kapriolen schlagen, die dem spöttisch-ironischen Charakter der Polonaise vollauf entsprechen, zugleich aber dem Solisten ein hohes Maß an Virtuosität abverlangen. Wiederum fällt - besonders zum Schluss hin - auf, welch hohe Anforderungen an die Atemtechnik gestellt werden. So zeigt sich an der Gestaltung des Soloparts mit unerhört ausgedehnten Sechzehntelläufen, dass die Möglichkeit zur Permanentatmung beim Csakan einen entscheidenden spieltechnischen Vorteil gegenüber der Ausführung auf der modernen Blockflöte geboten haben muss.

Das Klavier trumpft nur in den teilweise bis zu 20 Takten ausgedehnten Zwischenspielen auf, die man sich ebenso gut als effektvolle Orchesterstellen denken kann. Vieles erinnert an hier an einen Klavierauszug, der zugegebenermaßen durchweg geschickt und instrumentengerecht gesetzt worden ist. Es fällt auch angesichts der Nähe zum Opernhaften nicht schwer, sich Aufführungen des reisenden Csakanvirtuosen bevorzugt mit Orchester und nur notfalls mit Klavierbegleitung vorzustellen. Die Frage nach Orchesterpartituren, die es noch aufzufinden gilt, steht klingend im Raum.

So gibt es im Verlauf der Konzert-Polonaise drei große Klavier-Zwischenspiele und zwei Soli, die das Rondo-Thema der Soloflöte geringfügig variiert wiederholen und dem Pianisten Gelegenheit zu brillianten Entfaltungsmöglichkeiten geben.

In buntem Wechsel reihen sich dazwischen unterschiedlichste Couplets aneinander: ein Stelldichein der wechselnden Temperamente. Am hervorstechendsten sind dabei die ergreifende Episode in d-Moll (dolcissimo), die in reizvolles Pendeln zwischen Moll und Dur übergeht und den tonartlichen Ausgangspunkt für das anschließende, zum Rondothema in F-Dur rückmodulierende Zwischenspiel bildet, sowie als retardierendes Moment die zweite langsame Episode (sostenuto), die als Nachklang auf den Mollteil wie ein retardierendes Moment Anlauf für die turbulenten Sechzehntelläufe zu nehmen scheint, die in einer wirbelnden Stretta ihren Höhepunkt erreichen und am Ende lautstark mit mehrfachem Orchestertusch verabschiedet werden.

Die Concert Polonaise gilt als eines der ideenreichsten und harmonisch abwechslungsreichsten von Ernst Krähmers insgesamt 38 Werken für Csakan.
Der Interpretationsempfehlung des Herausgebers einer Neuausgabe bei Dolce Edition, Piers Adams, „diese in ihrer Art witzig-extrovertierte Musik mit entsprechender rhythmischer Freiheit und übertrieben großer Geste zu spielen", sind wir gerne gefolgt: This music is both witty and extrovert in nature, and should be played accordingly, with great rhythmic flexibiliby and exaggerated musical gestures.

© 2012, Peer Findeisen

Ernst Krähmer (1795-1837):

La Tyrolienne, op. 37

vermittelt in reizvoller Abwechslung alpine Impressionen, angefangen bei der
langsamen Einleitung, die einen majestätischen Sonnenaufgang zu beschwören
scheint - und zwar mit einem Wechselspiel aus einer scheinbar aus dem Nichts
kommenden, einstimmig fallenden Klaviermelodie, beantwortet vom alpinen
Quartsext-Motiv der Flöte, mit gesteigertem Pathos in mehreren Anläufen zu
orchestraler Fülle gelangend und in einem klischeehaft zuckersüßen
Dominantseptnon-Akkord gipfelnd - über eine eingängige Ländlermelodie, die
als klassisch achttaktig-periodisches Ritornell immer wieder in Erscheinung
tritt, bis hin zu einer Jodler-Episode, die an touristische Jahrmarkts-Drehorgeln
erinnert und den Zuhörer als schnaderhüpfelnder Ohrwurm im fröhlichen
Tonika-Dominantsept-Karussell ständig begleiten wird: Edelkitsch vom
Feinsten.
Bei aller Devotionalien- und Spielbuden-Volkstümlichkeit fasziniert jedoch
Krähmers originelle Harmonik, dank derer ein ironisches Augenzwinkern
jederzeit gegenwärtig bleibt. Und wie echte Bergkristalle auf dieser
Gratwanderung zwischen musikalischem Salon-Souvenir und effektvollem
Bravourstil glänzen diejenigen Zwischenspiele, die sehr authentischen Zither-und Hackbrettklang traditioneller Stubenmusik entfalten.
Das Werk erschien 1837, im Todesjahr des Komponisten, bei Diabelli mit folgendem Titelblatt:

La Tyrolienne/RONDEAU/pour le/Csakan/avec accompagnement/de/Piano-
Forte/Composé et dedié / à MONSIEUR ALESANDRE D´JSKRITSKY/ Lieutenant
Colonel des armées Imp. Russes / et chevalier de plusieurs ordres / par
Erneste Krähmer / Oeuv. 35/ VIENNE / Chez Ant. Diabelli / Graben No. 1133.

© 2012, Peer Findeisen

La Tyrolienne, op. 37

 

vermittelt in reizvoller Abwechslung alpine Impressionen, angefangen bei der

langsamen Einleitung, die einen majestätischen Sonnenaufgang zu beschwören

scheint - und zwar mit einem Wechselspiel aus einer scheinbar aus dem Nichts

kommenden, einstimmig fallenden Klaviermelodie, beantwortet vom alpinen

Quartsext-Motiv der Flöte, mit gesteigertem Pathos in mehreren Anläufen zu

orchestraler Fülle gelangend und in einem klischeehaft zuckersüßen

Dominantseptnon-Akkord gipfelnd - über eine eingängige Ländlermelodie, die

als klassisch achttaktig-periodisches Ritornell immer wieder in Erscheinung

tritt, bis hin zu einer Jodler-Episode, die an touristische Jahrmarkts-Drehorgeln

erinnert und den Zuhörer als schnaderhüpfelnder Ohrwurm im fröhlichen

Tonika-Dominantsept-Karussell ständig begleiten wird: Edelkitsch vom

Feinsten.

Bei aller Devotionalien- und Spielbuden-Volkstümlichkeit fasziniert jedoch

Krähmers originelle Harmonik, dank derer ein ironisches Augenzwinkern

jederzeit gegenwärtig bleibt. Und wie echte Bergkristalle auf dieser

Gratwanderung zwischen musikalischem Salon-Souvenir und effektvollem

Bravourstil glänzen diejenigen Zwischenspiele, die sehr authentischen Zither-und Hackbrettklang traditioneller Stubenmusik entfalten.

Das Werk erschien 1837, im Todesjahr des Komponisten, bei Diabelli mit folgendem Titelblatt:

 

La Tyrolienne/RONDEAU/pour le/Csakan/avec accompagnement/de/Piano-

Forte/Composé et dedié / à MONSIEUR ALESANDRE D´JSKRITSKY/ Lieutenant

Colonel des armées Imp. Russes / et chevalier de plusieurs ordres / par

Erneste Krähmer / Oeuv. 35/ VIENNE / Chez Ant. Diabelli / Graben No. 1133.

 

Ernst Krähmer (1795-1837):

Rondeau hongrois op. 28

Wie der Name schon sagt, ungarische Musik, die auch gängige Klischees von ungarischer Musik als Csardas-Folklore bedient und wie zuvor ausgeführt nicht trennscharf abzugrenzen ist vom Konglomerat einer bis weit in die Nationalromantik reichenden ungarisch-türkisch-balkanischen Südosteuropa-Gesamtfolklore.

Krähmer bezieht sich anfangs auf den üblichen Ablauf von langsamem und schnellem Teil („Lassu" - „Friss"). Schon die üppigen, stilgerechten Verzierungen und charakteristischen Quartsprünge deuten auf persönliche Erfahrung mit ungarischer Unterhaltungsmusik, was bei einem europaweit gefeierten Virtuosen des K&K-Hoforchesters auf der Hand liegt.

Für den Csakan bzw. wahlweise die Sopranblockflöte sind zahlreiche technische Herausforderungen vorgesehen, nicht zuletzt durch temperamentvolle Oktavvorschläge und rasante Zweiunddreißigstel-Läufe.
Die Begleitung ist fakultativ am Klavier oder an der Gitarre möglich und zeigt im Klavierpart typische Begleitfiguren der Csardas-Musik im alternierenden Wechsel von Bassoktaven in der linken und nachgeschlagenen Akkorden in der rechten Hand.

Der Aufbau des Rondos ist absolut originell, da Krähmer der eigentlichen Reihungsform ein ganz neues Gepräge verleiht und stets neuartige Ideen aus den vorigen Abschnitten hervorgehen lässt, also konsequent einen Entwicklungsgedanken verfolgt, der einer bloßen Aneinanderreihung bunt gemischter Einfälle durch eine dramaturgisch zwingende Einheit entgegenwirkt - ohne Beethovens Hybridform eines Sonatenrondos zu kopieren: Dem Ritornell mit seinen charakteristischen Pralltrillern und verzierungsreichen Kadenzfiguren geht eine langsame, rhapsodische Einleitung voraus, es folgen im bunten Wechsel von C-Dur, b-Moll und F-Dur drei weitere Tempo-Anläufe im Csardas-Stil, bevor der Schwung völlig ausgebremst wird, um den Anfangsteil reprisenähnlich zu wiederholen. Ein letztes Beschleunigen zu wirbelnden Triolen erstirbt in einem Zitat des Anfangs, sodass sich der Kreis von sprudelnd ineinanderfließenden Ideen lückenlos schließt.

Dass ein ritardando abgebremster und dahingehauchter Schluss nach dermaßen feurigen ungarischen Temperamentsausbrüchen im Widerspruch zur csardastypisch provozierten Entfesselung von Beifallsstürmen steht, dürfte Krähmer dazu bewogen haben, seine gewagte Konzeption, die Csardas-Mode gegen den Strich zu bürsten, mit angehängtem zweifachem Fortissimo-Tusch zu relativieren.
Wir haben hier wie auch an wenigen anderen Stellen - besonders in der langsam-rhapsodischen Einleitung - Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, den leider nur dezenten und nicht mit Schellen besetzten Janitscharenzug des originalen Conrad-Graf-Hammerflügels effektfoll einzusetzen: Ansatzweise wird der Hörer eine Ahnung davon bekommen, welchen Eindruck diese kriegerische Feldmusik auf den militärischen Gegner gemacht haben mag.

© 2012, Peer Findeisen

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