Pressestimmen

Klavier-Rezital am 9.1.1995 im Rahmen der Heidelberger Klavierwoche (Deutsch-Amerikanisches Institut)

Rhein-Neckar-Zeitung, 14.1.1995:

Griegs Klavierkunst vom Spezialisten

Seltenes Glück im Unglück für das Veranstalterteam von der Heidelberger Jahrhundertwende-Gesellschaft: Peer Findeisen, erst wenige Tage vor dem eigentlichen Konzerttermin angeheuerter "Ersatzmann" für den kurzfristig krankheitsbedingt ausgefallenen Thomas Nutzenberger, entpuppte sich mit einem pianistisch exzellent dargebotenen Raritätenprogramm der Sonderklasse als veritabler Geheimtip und musikalischer Höhepunkt im Rahmen der diesjährigen Heidelberger "Klavierwoche 95". Findeisen, 1966 geboren und derzeit in Schriesheim lebend, ist nach einer abgeschlossenen Schulmusik-Ausbildung als Lehrbeauftragter für Instrumentalkorrepetition an der Musikhochschule Heidelberg-Mannheim tätig und arbeitet zudem an seiner musikwissenschaftlichen Dissertation (ebenfalls in Heidelberg); weiterführende pianistische Studien betreibt der vielseitige Musiker bei dem renommierten Stuttgarter Pädagogen Paul Buck.

Primärer Fixstern aller musikpraktischen wie musikwissenschaftlichen Aktivitäten Findeisens ist das hierzulande immer noch allzu gerne unterschätzte Werk des norwegischen Komponisten Edvard Grieg (1943-1907), dessen umfangreiche folkloristische Wurzeln in der angesprochenen Doktorarbeit eingehend analysiert werden sollen. Daß angesichts dessen auch die pianistischen Auftritte des jungen Schriesheimers zu mehr oder minder ausgedehnten Grieg-Plädoyers geraten, überrascht kaum. Überraschend freilich ist ihre musikalisch-künstlerische Überzeugungskraft.

Eine immerhin fast einstündige, dabei ungemein repräsentativ anmutende "tour d´ horizon" durch Griegs allemal opulentes und dennoch nur erschütternd fragmentarisch geläufiges Klavierschaffen offerierte der erste Programmteil. Hier gelang es Peer Findeisen nicht nur, mittels eines knappen Dutzends verschieden dimensionierter Stücke gleichsam den "ganzen Grieg" denkbar plastisch zu fokussieren, sondern wie nebenbei das allenthalben hartnäckig verbreitete Klischeebild vom volkstümelnd-biederen und stilistisch vergleichsweise beschränkten "Kleinmeister" Grieg in bravourös-bewegender Manier zu demontieren. Edvard Grieg ist ein großer Komponist - die Heidelberger Konzertbesucher wissen es jetzt. Einen gewissen, indes sehr überschaubaren Bekanntheitsgrad genießt der Norweger wohl allenfalls als Meister der fantasievoll variierten, poetisch inspirierten Klavierminiatur, wie er sich zeitlebens in seinen "Lyrischen Stücken" - insgesamt auf zehn Sammlungen verteilt - ausgesprochen hat.

p> Im Sinne einer durchgehend starken Einzelkollektion hinterlassen darunter die sechs Piècen op. 54 (1889/ 91) den besten, vor allem auch stilistisch vorausweisendsten Eindruck; mit Ausnahme der sehr klavieristisch empfundenen fünften Nummer ("Scherzo") wurden sie von Grieg noch im Jahre 1904 in einer raffinierten Orchesterfassung wiederveröffentlicht, was seine Wertschätzung für gerade dieses Opus deutlich macht. Pikanter rhythmischer Esprit, poetische Stimmungsdichte und eine schon impressionistische Farbdelikatessen antizipierende Stilpalette gelangen hier tatsächlich zu ganz originärer und glücklichster Verschmelzung, welche Peer Findeisen mit optimal nuancierter Emphase und zuweilen unwiderstehlich "swingendem" Norwegentouch nachzuempfinden verstand. Noch pintierter folkloristisch, ja dezidiert experimentierfreudig in beinahe Bartókschem Sinne geben sich die späten "Slaatter" ("Norwegische Bauerntänze") op. 72 (1902/03), deren erregende Fremdartigkeit bei Findeisen (er spielte die Nummern 1, 7, 8 und 13) in wahrhaft zärtlichen Händen lag.

Griegs Genialität auch in der großen Form exemplifizierte schließlich die ausdrucksmächtige Varationsballade op. 24 (1875/76, direkt nach dem Tode beider Eltern entstanden), deren konzertante Vernachlässigung als eines der inhaltsschwersten Virtuosenstücke der romantischen Klavierliteratur - ebenbürtig neben den großen Variationszyklen etwa von Mendelssohn, Schumann oder Brahms - nurmehr irrwitzig erscheint.

Peer Findeisens Interpretation blieb den expressiven wie den pianistischen Ansprüchen dieser fulminanten Klavierdichtung nicht das mindeste schuldig - eine kongeniale Vorstellung.

Den furiosen Norwegentrip komplettierten unmittelbar nach der Pause fünf ebenfalls höchst reizvoll stilisierte, die Linie der Griegschen "Slaatter" eigenwillig fortsetzende "Hardanger-Volksweisen" aus dem fünfzig derartige Nummern vereinigenden op. 150 (publiziert 1951) von Geirr Tveitt (1908-1981), die durchaus auch einer gründlichen konzertanten Wiederentdeckung bzw. -erweckung harren sollten. Mit drei echten Spezialitäten des virtuosen Spitzenrepertoires trieb Findeisen die Publikumsbegeisterung hernach gar zu stürmischen Werten. Liszts späte Pilgerjahre-Impression "Les jeux d´eaux à la Villa d´Este" verzückte durch allen notwendig passionierten Klangzauber, die spektakuläre "Toccata" (1940) von Pierre Sancan (*1916, seit 1956 Klavierprofessor am Pariser Konservatorium) gewann wahrhaft atemberaubendes Profil, de Fallas "Fantasia Baetica" schließlich entfaltete pianistische Exaltation auf ihrer erlesen-kultiviertesten und zugleich spannungserfülltesten Stufe - als gleichsam rauschendes iberisches Tastenfest.

Das musikalisch Postskriptum dieses erinnerungswürdigen Konzertabends war naheliegend. Ein weiterer Grieg-"Slaatt" sowie die wunderbare Miniatur "Solfager und der Würmerkönig" op. 17/12 (1869) erneuerten nochmals Peer Findeisens Herzensbekenntnis in Richtung Norwegen.