Ernst Krähmer (1795-1837):
Concert Polonaise op. 5
1822 bei Diabelli veröffentlicht, gehört diese Polonaise dem konzertanten Salonstil des frühen 19. Jahrhunderts an. Das Titelblatt der Originalausgabe trägt folgende Widmung:
CONCERT POLONAISE / für den / Csakan / mit Begleitung des / Pianoforte / componirt, und dem / HERRN AUGUST WALTER / gewidmet / von / Ernest Krähmer / 5tes Werk / WIEN / bey Cappi und Diabelli / Graben No. 1133.
Mit einer langsamen Adagio-Einleitung, die nach viertaktigem Vorspiel durch eine arioso und reich verzierte, weit ausgreifende und nur schwach akkordisch begleitete Flötenmelodie gestaltet wird, trifft Krähmer überraschend genau den Ton, den heutige Hörer sofort mit Mendelssohn in Verbindung bringen würden. In der Tat mag man hier in Vielem den Einleitungsteil des berühmt gewordenen Rondo capriccioso wiedererkennen, was vor allem am Belcanto-Stil der zeittypischen ausgedehnten melodie lunghe liegt, wie sie bei frühromantischen Arien der italienischen Opernkomponisten um Bellini und Donizetti massenhaft auftreten.
Nach einer ausgeprägten Koloratur erfolgt der Übergang zur eigentlichen Polonaise, deren Thema alle Qualitäten für ein dem Anmutigkeits-Ideal verpflichtetes Rondo-Ritornell in sich vereinigt: schwungvoll-heiter bewegtes Allegretto-Tempo, synkopenreiche Rhythmik, kapriziös-spielerischer Umgang mit kurzen Motiven und einprägsame, gesangliche Melodik.
In den Couplets lässt Krähmer das Soloinstrument in unterhaltsamer Scherzando-Manier lustige Kapriolen schlagen, die dem spöttisch-ironischen Charakter der Polonaise vollauf entsprechen, zugleich aber dem Solisten ein hohes Maß an Virtuosität abverlangen. Wiederum fällt - besonders zum Schluss hin - auf, welch hohe Anforderungen an die Atemtechnik gestellt werden. So zeigt sich an der Gestaltung des Soloparts mit unerhört ausgedehnten Sechzehntelläufen, dass die Möglichkeit zur Permanentatmung beim Csakan einen entscheidenden spieltechnischen Vorteil gegenüber der Ausführung auf der modernen Blockflöte geboten haben muss.
Das Klavier trumpft nur in den teilweise bis zu 20 Takten ausgedehnten Zwischenspielen auf, die man sich ebenso gut als effektvolle Orchesterstellen denken kann. Vieles erinnert an hier an einen Klavierauszug, der zugegebenermaßen durchweg geschickt und instrumentengerecht gesetzt worden ist. Es fällt auch angesichts der Nähe zum Opernhaften nicht schwer, sich Aufführungen des reisenden Csakanvirtuosen bevorzugt mit Orchester und nur notfalls mit Klavierbegleitung vorzustellen. Die Frage nach Orchesterpartituren, die es noch aufzufinden gilt, steht klingend im Raum.
So gibt es im Verlauf der Konzert-Polonaise drei große Klavier-Zwischenspiele und zwei Soli, die das Rondo-Thema der Soloflöte geringfügig variiert wiederholen und dem Pianisten Gelegenheit zu brillianten Entfaltungsmöglichkeiten geben.
In buntem Wechsel reihen sich dazwischen unterschiedlichste Couplets aneinander: ein Stelldichein der wechselnden Temperamente. Am hervorstechendsten sind dabei die ergreifende Episode in d-Moll (dolcissimo), die in reizvolles Pendeln zwischen Moll und Dur übergeht und den tonartlichen Ausgangspunkt für das anschließende, zum Rondothema in F-Dur rückmodulierende Zwischenspiel bildet, sowie als retardierendes Moment die zweite langsame Episode (sostenuto), die als Nachklang auf den Mollteil wie ein retardierendes Moment Anlauf für die turbulenten Sechzehntelläufe zu nehmen scheint, die in einer wirbelnden Stretta ihren Höhepunkt erreichen und am Ende lautstark mit mehrfachem Orchestertusch verabschiedet werden.
Die Concert Polonaise gilt als eines der ideenreichsten und harmonisch abwechslungsreichsten von Ernst Krähmers insgesamt 38 Werken für Csakan.
Der Interpretationsempfehlung des Herausgebers einer Neuausgabe bei Dolce Edition, Piers Adams, „diese in ihrer Art witzig-extrovertierte Musik mit entsprechender rhythmischer Freiheit und übertrieben großer Geste zu spielen", sind wir gerne gefolgt: This music is both witty and extrovert in nature, and should be played accordingly, with great rhythmic flexibiliby and exaggerated musical gestures.
© 2012, Peer Findeisen