Csakan - Spazierstockflöte
Der Csakan: von der Waffe über den Spazierstock zum Konzertinstrument
Auszug aus dem Booklet mit freundlicher Genehmigung von Sarah-Denise Fabian
Unter den verschiedenen Arten der Blockflöten-Instrumente zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie etwa dem französischen Flageolet, der Flûte douce oder dem Berchtesgadener Fleitl, ist der Wiener Csakan vermutlich die noch bekannteste und vielleicht auch interessanteste Erscheinung. Die Bezeichnung geht auf das ungarische Wort ‚csákány' zurück, das wiederum unterschiedliche Bedeutungen hat, aber vor allem hammerförmige Werkzeuge und Waffen beschreibt. Auf deren äußeres Erscheinungsbild – einen langen Stiel mit einem hammer- beziehungsweise axtartigen Oberteil – lässt sich vermutlich ebenfalls zurückführen, warum um die Wende zum 19. Jahrhundert das Wort ‚Csakan' auch Stockflöten beschrieb. Jene waren nämlich am oberen Ende durch einen Griff als Gehstütze gekennzeichnet und entsprechend der üblichen Größe von Gehstöcken wurde unten an das Blockflöten-Instrument ein massiver Stock zum Spazieren eingesteckt.
Der Csakan als Spazierstockblockflöte erfreute sich wiederum vor allem in Wien großer Beliebtheit. Hier stand er zunächst im Kontext einer allgemeinen Mode von multifunktionalen Spazierstöcken: Wer etwas von sich hielt, zeigte sich mit einem Spazierstock, der mehr war als ‚nur' ein Stock zum Gehen. Solche Systemstöcke hatten eine Art Innenleben und waren mit Accessoires wie Schirmen, Uhren, Tabakdosen oder eben Musikinstrumenten versehen. Es waren etwa Traversflöten, Oboen, Klarinetten und Taschengeigen vertreten, der blockflötenartige Csakan mit sieben Vorderlöchern und einem Daumenloch war jedoch am beliebtesten. Dabei handelte es sich zunächst in erster Linie um ein Instrument für Dilettanten, die sich daran erfreuten, auch im Freien musizieren zu können.
Bald war der Csakan allerdings nicht mehr nur im folkloristischen und dilettantischen Bereich anzutreffen, sondern fand während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in neuer, nicht mehr einem Spazierstock, sondern eher der Oboe ähnelnder Gestalt auch auf professionellem Gebiet Einzug.
Der Flötist Anton Heberle soll den Instrumentenmacher Anton Schulz dazu angeregt haben, die dis-Klappe der Traversflöte auf den Csakan zu übertragen. Neben dieser einfachen Form mit einer Klappe, die nach wie vor gerade auch Amateure und Liebhaber zu einem Kauf animieren sollte, entstanden ab den 1820er Jahren jedoch ebenfalls durchaus komplexere Csakans. Diese wurden hauptsächlich von Johann Ziegler in Wien und Franz Schnöllnast in Preßburg gebaut und hatten bis zu 13 Klappen. Dabei handelte es sich wie auch bei der einfachen Form um ein transponierendes Instrument in As – nach Aussage des damals berühmten Csakanvirtuosen Ernest Krähmer „eine der schönsten Tonarten".
In dieser Zeit entstanden nun ungefähr 400 Kompositionen für Csakan, insbesondere Solostücke, Duette für zwei Csakans und Werke für Csakan mit Klavier oder Gitarre. Die Klavierbegleitung vieler Kompositionen ist durch das transponierende Melodieinstrument häufig recht einfach, akkordisch gehalten, da der Klavierpart meist entsprechend mit mehreren b-Vorzeichen gespielt werden musste. Unter den Kompositionen finden sich zahlreiche Bearbeitungen, insbesondere von Walzern, und Variationen über Themen, die zum Teil aus dem volkstümlichen Bereich entnommen wurden, aber auch Zitate aus zeitgenössischen Opern darstellten. In vielen Stücken für Csakan finden sich somit Melodien aus allgemein bekannten und beliebten Kompositionen, was wiederum auch für die Verleger vorteilhaft war, da sich die Noten auf diesem Wege zudem gut an interessierte Laien verkaufen ließen.
Überhaupt spiegeln die entstandenen Kompositionen die Bandbreite der Csakanspieler wider: von den leichten Spielstücken für Laien, die entsprechend mit der günstigen einklappigen Variante des Csakans spielbar waren, über die anspruchsvolleren für fortgeschrittene Spieler bis hin zu äußerst virtuosen Kompositionen für die öffentlichen Konzerte mit komplizierten Csakan-Instrumenten.
Der Csakan und seine Spieler
Die meisten Csakanspieler komponierten auch zugleich für das Instrument und schufen damit ein eigenes Repertoire. Neben dem als Erfinder des Csakans gehandelten Anton Herberle sind hierbei zunächst Wilhelm Klingenbrunner und Joseph Gebauer zu nennen. Aber auch die beiden in Wien angestellten Violinisten Anton Kargl und Stefan Franz komponierten für den Csakan, über deren Leben allerdings wenig bekannt ist.
Unter den Csakankomponisten und -spielern ist Ernest Krähmer der prominenteste. Er war ebenfalls an der Vermittlung des Csakanspiels interessiert und publizierte in Wien 1821 die ‚Neueste theoretisch-practische Csakan-Schule'. Für dieses Lehrwerk, das unter anderem allgemein über Artikulation und Verzierungen informiert, aber auch Unterweisung im Csakanspiel bietet, warb in der ‚Wiener Zeitung' kein geringerer als Anton Diabelli – jener Verleger, der auch die Kompositionen Ludwig van Beethovens und Franz Schuberts veröffentlichte.
Krähmer, der Oboist am Hoftheater in Wien war, trug insgesamt zu der Bekanntheit des Csakans als Konzertinstrument – und somit ohne Spazierstock – maßgeblich bei. Dies gelang ihm vor allem durch seine rege Konzerttätigkeit. Seine Auftritte verschafften ihm Anerkennung und riefen zugleich Erstaunen über die Leistung auf einem vermeintlich anspruchslosen Instrument hervor. Dies belegt auch ein Ausschnitt aus einem Bericht über ein Konzert Krähmers im Dezember 1822: „Dieses sonst [für] bloss tändelndes Spielwerk gehaltene Instrumentchen bekam durch die Behandlung eines solchen Künstlers eine Würde, wie sie nur immer ein bedeutendes Blasinstrument erhalten kann." Dass Krähmer seine künstlerischen Ansprüche auf den Csakan übertrug, er aber zugleich auch ein gutes Gespür für die musikalischen Vorlieben seiner Zeitgenossen hatte, zeigen beispielsweise seine ‚Variations Brillantes' op. 18. Die virtuosen Variationen für Csakan und Klavier entfalten sich über ein Thema, das auf der Cavatina ‚Ah! Come nascondere' aus Rossinis Oper ‚La donna del lago' zurückgeht. Da die Opern Rossinis zu der Zeit in Wien sehr beliebt waren, konnten sich Krähmers Zeitgenossen, die das Thema sicherlich erkannten, aber auch der Widmungsträger, der ungarische Graf István Széchenyi, daran erfreuen, der wiederum ein Verehrer Rossinis war.
Der Csakan stellt somit ein Instrument dar, das im Wiener Raum während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Blütezeit erlebte und als Konzertinstrument in erster Linie mit dem Namen des Virtuosen Ernest Krähmer verknüpft ist. Insgesamt aber handelt es sich beim Csakan – mit seiner ursprünglichen Form als Spazierstockinstrument und seiner Beliebtheit bei Liebhabern und professionellen Spielern – um eine sehr facettenreiche Erscheinung: Der Csakan bewegt sich in seiner Vielfältigkeit zwischen modischem Accessoire, Bestandteil der (Wiener) Konzerte, kurioser Erscheinung und ernst zunehmendem Holzblasinstrument.